Wer die ADHS nicht versteht, soll bitte keine Empfehlungen für Eltern erarbeiten!
19.04.2017 21:29

Dank Facebook begegnet mir mehrmals täglich irgendein Bullshit zum Thema ADHS. Das reicht bei mir schon lange nicht mehr aus, um auch nur eine Augenbraue hochziehen zu wollen.

Immer wieder mal stolpere ich auch in unserer Linksammlung über den einen oder anderen Schwachfug. Doch da wir hier im Forum User haben, die wissen, was ADHS ist, posten wir auch Links zu Schwachfug - schließlich müssen wir ja wissen, was man "draußen" so über uns redet. In der Regel reicht da bei mir ein Kopfschütteln, hin und wieder muss ich mit den Augen rollen - und dann hab ich auch schon wieder vergessen, was ich da gelesen habe.

Ausnahmen bestätigen die Regel. Mitunter kommentiere ich unsere Schwachfug-Links und bringe da auch gerne mal eine Diskussion ins Rollen. Und wenn es ganz dicke kommt, dann muss ich es bloggen .

Die Frankfurter Rundschau titelt:

Zitat
Chaos erschwert die Erziehung
Vor allem Kindern mit ADHS leiden unter fehlenden Strukturen im Familienalltag. Außerdem werden sie häufiger von ihren Eltern kritisiert.


Oha! Eine solche Überschrift lässt Böses ahnen!

Natürlich erschwert Chaos die Erziehung, das ist ja jetzt keine neue Erkenntnis. Doch welches Chaos ist da gemeint?

Fehlende Strukturen im Familienalltag - darunter leidet die ganze Familie, nicht nur Kinder mit ADHS. Deshalb sind Eltern in ADHS-Familien ja so dahinter her, dass der Alltag Struktur hat - auch wenn das zunehmend schwieriger wird und manch ein ADHS-Kind mehr Termine hat als ein Erwachsener.

Der letzte Satz hat es in sich: Sie werden häufiger von ihren Eltern kritisiert! Ach nee!? ** Ironie on ** Diese Versager-Eltern, die ihre Kinder mit Drogen ruhigstellen, die wagen es, ihre Kinder zu kritisieren? Wo doch eine hinter die Löffel schon reichen würde ... ** Ironie off **

Ok, nachdem ich meine Ironie schon ausgepackt habe, kann ich auch gleich den Artikel lesen ...

Die Bildunterschrift ist der Eye-catcher schlechthin:

Zitat
Hilfreich ist, Hausaufgaben alleine in einem ruhigen Raum erledigen zu lassen.


Ich fasses nicht ! Von einer solchen Hausaufgaben-Idylle träumt jede mir bekannte Mutter eines ADHS-Kindes (vergeblich, versteht sich). Und ich kenne viele Mütter von ADHS-Kindern, sehr viele!

Das war erst Satz vier und mir ist zum ... Weia!

Zitat
Welche Eltern kennen es nicht – den täglichen Kampf gegen das Chaos im Haushalt? Besonders stark betroffen davon sind wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge Familien, deren Kinder an einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden. Wie eine Arbeitsgruppe der Frankfurter Universität nun nachweisen konnte, werden Kinder mit ADHS häufiger von ihren Eltern kritisiert. Zudem reagieren die betroffenen Erwachsenen stärker mit inadäquatem Erziehungsverhalten.

Für die Studie sind Daten von insgesamt 84 Kindern im Alter von 7 bis 13 Jahren ausgewertet worden. 31 Kinder gehörten zur ADHS-Gruppe, 53 zur Kontrollgruppe. Erfragt wurde mittels eines standardisierten Fragebogen, wie intensiv sich Eltern um ihre Kinder kümmern, ihnen positives oder negatives Feedback geben, wie stringent sie erziehen und ob sie körperlich strafen.

Positive Beziehung zum Kind

Zudem sprachen die Psychologen mit einem Elternteil, wobei diese die Persönlichkeit des Kindes sowie ihre Beziehung beschreiben sollten. Zur Überraschung der Forscher schätzten Eltern von Kindern mit ADHS die Beziehung zu ihren Kindern positiver ein als Eltern aus der Kontrollgruppe. Mutmaßlicher Grund dafür könnte sein, dass einige der betroffenen Familien bereits an einer Therapie teilnahmen, wodurch das emotionale Klima verbessert werden konnte.

„Ein sehr chaotischer und unstrukturierter Haushalt, der durch die ADHS-Symptomatik der Kinder mitbedingt ist, erschwert es Eltern, autoritativ zu erziehen“, betonte Andrea Wirth, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der pädagogischen Psychologie an der Goethe-Universität. „Gleichzeitig ist anzunehmen, dass die Eltern trotz des herrschenden Chaos ihre Kinder mögen, positiv über sie sprechen und es genießen, Zeit mit ihnen zu verbringen.“

Die Arbeitsgruppe am LOEWE-Zentrum Idea plant Empfehlungen für Eltern zu erarbeiten, die helfen das Familienleben zu ordnen, stärker auf Routinen zu achten und den Alltag besser zu organisieren. Dazu zählt beispielsweise, Hausaufgaben alleine in einem ruhigen Raum erledigen zu lassen und währenddessen Radio und Fernseher auszuschalten.



Also, ich bin jetzt ziemlich verunsichert ...

31 Kids stehen hier für den "repräsentativen Querschnitt" deutscher ADHS-Kinder. Doch so viele ?! Nach welchen Kriterien wurden die Familien ausgewählt? Nach den im Artikel zitierten Aussagen des Forscherteams kann es sich jedenfalls nicht um die Sorte Eltern handeln, die in unserem Forum liest .

Oder hat da etwa ein Journalist über eine Studie geschrieben, bei der es um Kinder und am Rande auch um Hausaufgaben geht - und das Ganze dann in bewährter Manier mit unseren vier Buchstaben dekoriert, damit sich der Artikel besser verkauft ?

Zum Artikel geht es hier: ADHS in der Familie

Leider habe ich auf den Seiten der Studienbetreiber keine Hinweise auf diese Studie gefunden, was durchaus an meinem selektiv überhüpfenden Wahrnehmungsstil liegen mag. Also habe ich den Artikel kommentiert:

Zitat
Schade, dass sich niemand Gedanken darüber gemacht hat, weshalb Kinder mit ADHS vorzugsweise bei Mama am Küchen- oder Esstisch mit irgendeinem Hintergrund-Gedudel ihre Hausaufgaben machen. Ich kenne keine Mutter eines ADHS-Kindes, die sich diese Idylle mit geräuscharmen Hausaufgaben im Kinderzimmer nicht wünschen würde.
Die Geräuschkulisse im Hintergrund hilft den Kindern, ablenkende Nebengeräusche auszublenden. Jedes zusätzliche Geräusch lenkt ab.
Die Gegenwart von Mama wird benötigt als Motivator und Kameltreiber. Lässt Mama heute ihr Kind im Kinderzimmer gewähren, steht es morgen ohne Hausaufgaben da. Lehrkräfte sind mehrheitlich nicht geneigt, dies zu akzeptieren.
Nicht selten muss Mama zuhause auf-, nach- und wiederholen, was ihr Kind aufgrund mangelnder Struktur im Unterricht nicht mitbekommen hat. Man kann nur hoffen, dass Mama früher in der Schule aufgepasst hat ...
Seit 22 Jahren beschäftige ich mich (tagtäglich!) mit dem Thema ADHS, bin seit 17 Jahren aktiv in der ADHS-Selbsthilfe tätig, selbst ausgebildete ADHS-Elterntrainierin und habe nur den einen Wunsch: Bitte erkundigen Sie sich auch in der ADHS-Selbsthilfe, bevor Artikel über Menschen mit ADHS veröffentlicht werden - bitte sprechen Sie MIT uns, nicht nur über uns.



Noch ein weiterer Kommentar stammt aus unserem Forum:

Zitat
Also schon der erste kurze Abschnitt hat mich vom Weiterlesen abgehalten:
Haushalte in denen Kinder mit einer ADHS leben haben keine Strukturen und noch dazu kritisieren die Eltern häufiger als andere?

Das ist soviel Blödsinn in zwei Sätzen und schlichtweg falsch! Die Strukturen in einer Familie mit einem ADHS-Kind sind fester als irgendwo, das lernen die Eltern schnell! Wo bitte sind denn die Strukturen im "außerhäuslichen Bereich"?, z.B. Schule?!

Dort ist das Wissen über eine ADHS so klein dass Vieles nicht gibt, aber Chaos, das herrscht!! Leider werden die Kinder von Lehrern sehr häufig, über die Maßen und jahrelang kritisiert! Eltern sind oftmals die einzigen die in ihren Kindern das Gute sehen...

Es ist traurig und enttäuschend dass soviel Missverständis herrscht und durch solche Beiträge noch verschlimmert wird! Man sollte unbedingt aufhören die Eltern ständig als grenzdebil und erziehungsunfähig darzustellen, sind es doch die Einzigen in dieser Gesellschaft die ADHS-Kinder wirklich verstehen!!

Informationen zu diesem Artikel
  • Erstellt von: SusanneG
    Kategorie: ADHS in den Medien
    19.04.2017 21:29:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 19.04.2017 21:29
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