Markus Lanz und die ADHS
24.08.2018 00:51

Sehr geehrter Herr Lanz,

Ihre Talkshow schaue ich gerne an, weil Sie immer wieder sehr interessante Gäste einladen. Auch die Diskussion gestern mit Herrn Altmaier, Frau Hildebrand und Herrn Bode fand ich spannend, da mich genau diese Themen (Macht der Konzerne, Vernichtung von Umwelt und Arbeitsplätzen und das Wenige, was wir diesbezüglich unternehmen) sehr bewegen und auch beunruhigen.

Was mich aber speziell gestern beunruhigte war Ihre Ankündigung, man wolle auch über Jan Ullrich sprechen, der an ADHS, einer Sucht nach Aufmerksamkeit, leide, und darüber, was passiert, wenn plötzlich diese große Aufmerksamkeit wegfällt. Da musste ich erst mal nach Luft schnappen.

Trotz dieser für mich unmöglichen Formulierung war ich als bekennender Fan von Sven Hannawald gespannt darauf, was er und Herr Prof. Lemke über das Leben nach dem plötzlichen Ende einer so grandiosen Sportkarriere berichten. Zehn Minuten lang ging es gut. Doch dann hätte ich den Fernseher ausschalten sollen. Denn dann wiederholten Sie die anfängliche Definition von ADHS „… in diesem Zusammenhang … ADHS … dieses Betteln um Aufmerksamkeit, diese krankhafte Suche nach Aufmerksamkeit …“.

Wo um alles in der Welt haben Sie diese völlig falsche, im Übrigen – vor allem den Betroffenen gegenüber - arrogante und überhebliche Definition der ADHS gelesen? Es wäre nett gewesen, wenn Sie sich im Vorfeld bei Herrn Prof. Lemke informiert hätten, wie man eine ADHS in wenigen Worten beschreibt.

Nebenbei bemerkt … wieviel und vor allem was soll ich denn von all Ihren anderen Anmoderationen halten, deren Richtigkeit ich nicht beurteilen kann?

Vor Herrn Prof. Lemke ziehe ich den Hut! Er hat, ohne Ihnen offen zu widersprechen, erst mal definiert, was eine ADHS ist (der Betroffene selbst kann seine Aufmerksamkeit nicht halten). Chapeau! Ich befürchte allerdings, seine Erklärung hat Sie nicht erreicht. Denn kurz darauf fragten Sie Herrn Hannawald, wie das denn sei, wenn plötzlich diese große Aufmerksamkeit weg ist. Mit seiner Antwort, gleich im ersten Satz, hat dann auch Herr Hannawald richtig gestellt, dass genau das nicht das Problem ist.

Problematisch finde ich auch Ihre Bemerkung zu Präsident Trump und einem potentiellen Zusammenhang zu ADHS. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass Arroganz, Diskriminierung von anderen Menschen und schlechtes Benehmen nicht zu den Diagnosekriterien einer ADHS gehören – dazu hält die ICD 10 etliche andere F-Diagnosen bereit.

Es gab Ihrerseits noch mehr Klöpse in dem Gespräch, die möchte ich jetzt gar nicht mehr im Einzelnen erwähnen. Worauf ich hinauswill, ist der Hinweis von Herrn Prof. Lemke, dass diese Diskussion in der Öffentlichkeit (betreffend psychische Erkrankungen) sogar gefährlich werden könnte.

Ist Ihnen eigentlich klar, was mit Betroffenen passiert, wenn sie oder ihr soziales Umfeld solchen und ähnlichen abwertenden und in meinen Augen sogar gefährlichen Falschinformationen aufsitzen?

Kinder mit ADHS erhalten keine Therapie – oft überhaupt gar keine Hilfe – weil ihre Eltern (oder auch mal die Fachkräfte des Jugendamts) an diesen Schwachfug glauben bzw. vom sozialen Umfeld dahingehend beeinflusst oder gar unter Druck gesetzt werden. Viele ADHS-Kinder durchleben in der Schule die Hölle, weil sie ständig falsch beurteilt, falsch behandelt oder gar (nicht selten sogar von Lehrkräften) gemobbt werden. Was das für ihre Schul- und Berufsausbildung für Folgen nach sich zieht, muss ich ja wohl nicht extra darlegen.

Selbst betroffene Erwachsene müssen sich dumm anmachen lassen und trauen sich nicht zur Diagnostik; infolgedessen bekommen auch sie keine fachlich richtige Information, keine Unterstützung, keine Hilfe. Beziehungen scheitern. Ihre Kinder (die nicht selten selbst eine ADHS haben) wachsen in Ein-Eltern-Familien auf; sie zählen häufig zu denen, die bei der Kinderarmut mitgezählt werden. Berufliche Schwierigkeiten werden auf Faulheit und Dummheit zurückgeführt (und das, obwohl ihr IQ nicht selten höher ist als der des Vorgesetzten). Kurz gesagt, sie scheitern im Leben, man zeigt mit dem Finger auf sie, redet über sie – und dann wundert man sich, wenn aus Suizidgedanken ein Suizid wird.

Besonders schlimm finde ich, dass nicht selten Fachleute auf diesen Zug aufspringen; dass sie lediglich Probleme (meistens die, die andere damit haben) und unerwünschtes Verhalten sehen und Faktoren wie der Verfügbarkeit von Neurotransmittern, Hemmung der höheren Handlungsfunktionen, verstärkter Reizwahrnehmung und dem Leiden der Betroffenen unter dem Feedback des sozialen Umfelds keinerlei Bedeutung beimessen.

Man schiebt dann alles auf Umweltfaktoren wie den finanziellen Background oder Bildungsstatus der Eltern oder deren Erziehungsunfähigkeit. Demzufolge werden Programme und Therapien entwickelt, die aufgrund des völlig falschen Ansatzes nicht greifen – gar nicht greifen können. Immense Beträge an Forschungsgeldern gehen dabei drauf, die an anderen Stellen dringend gebraucht würden.

Aufklärung der Öffentlichkeit über ADHS – man sagt, das sei wichtig und richtig. Nach zwanzig Jahren in der ADHS-Selbsthilfe zweifle ich inzwischen daran. Pseudo-Wissenschaftler erhalten einfach mehr Gehör, mehr Bühne. Die Information der Öffentlichkeit könnte zum Beispiel durch Betroffene wie Herrn Hannawald oder durch kompetente Fachärzte wie Herr Prof. Lemke erfolgen. Man müsste sie eben ausreden lassen.

Eine Frage beschäftigt mich noch. Würden Sie denn genauso abfällig über ADHS oder Menschen mit ADHS sprechen, wenn auch bei Ihnen eine ADHS diagnostiziert werden würde? An einzelnen Symptomen mangelt es Ihnen ja nicht …

Über eine Stellungnahme freut sich
SusanneG

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Kommentare
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27.09.2018 20:40

Ach jeh, das hab ich ja ganz vergessen ... . Es kam Antwort - natürlich nicht von Herrn Lanz, sondern vom Zuschauerservice.

Zitat
Sehr geehrte Frau SusanneG,

vielen Dank für Ihre E-Mail an das ZDF.

Sie werden sicherlich verstehen, dass Herr Markus Lanz angesichts seiner vielfältigen Verpflichtungen nicht persönlich antworten kann.

Ihre kritische Stellungnahme haben wir jedoch in unsere tagesaktuelle Auswertung der Zuschauerreaktionen aufgenommen. Diese wird der verantwortlichen Redaktion von "Markus Lanz" und einem weiten Empfängerkreis in unserem Haus, inklusive der Geschäftsleitung, übermittelt und dort in der internen Auseinandersetzung mit dem Programmangebot berücksichtigt.

Wir bedauern, dass die Sendung bei Ihnen negative Emotionen ausgelöst hat. Dies lag nicht in unseren Absichten.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Zuschauerservice



Ich habe dann noch eine Mail "nachgeschoben", die aber (wie erwartet) ohne Antwort blieb.

Zitat
Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Nein, eine persönliche Reaktion von Herrn Lanz erwarte ich nicht. Durch Ihre Weiterleitung meiner Mail kommt diese ja genau dort an, wo sie hin soll. Ich meine, die Botschaft ist eindeutig: Liebe Macher des ZDF, Sie dürfen gerne über ADHS berichten – doch tun Sie es bitte ohne Abwertung der Betroffenen. Bitte äußern Sie sich zu Neurodiversitäten wie der ADHS in gleicher Weise wie Sie das auch zu Krankheiten wie Diabetes, Erblindung, Spastik, Mukoviszidose, ALS, Krebs uvam tun.

„Negative Emotionen“ möchte ich es nicht nennen, was die Sendung bei mir auslöste, im Gegenteil. Alle Gäste der Talkshow haben zum Gelingen einer guten Sendung beigetragen und ich werde sie auch weiterhin regelmäßig anschauen.

Was die Anmoderation von Herrn Lanz bezüglich ADHS bei mir ausgelöst hat, war und ist der dringende Wunsch, Ihr Augenmerk auf die Folgen solcher und ähnlicher abwertenden Äußerungen über Neurodiversitäten wie die ADHS zu lenken. Folgen, die niemand anderes auszubaden hat – und das heftigst! – als die Betroffenen selbst.

Mit freundlichen Grüßen
SusanneG

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27.09.2018 17:14

Liebe Susanne, hallo,
und? Hat dir Herr Lanz bereits geantwortet? Ehrlich gesagt, eine Reaktion auf dein Schreiben würde mich wundern
Das ist ja eher weniger das Ding von Marionetten mit hübschem Kopf....

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24.08.2018 19:52

Schau sie dir ruhig an, Jani. Es ist eine informative und interessante Sendung - auch die Diskussion mit den ersten drei Gästen.

Es ist nichts Schlimmes drin, jedenfalls nicht seitens der Gäste. Der Aufreger ist nur das Geschwätz von Herrn Lanz, das - seit ich ihn 2010 erstmals zum Thema ADHS erlebt habe - einfach nicht sachlicher und richtiger wird, egal wie oft ADHS bei ihm Thema ist.

Auch das regt mich nicht mehr wirklich auf. Aber es kam eine Vorlage von Herrn Prof. Lemke "... diese Diskussionen in der Öffentlichkeit könnten gefährlich werden. ...", die musste ich einfach nutzen.

Es ist tatsächlich so: Irgendwie bin ich gegen ADHS-Schwachfug immun geworden, der prallt an mir ab; das zeigt schon dieses Blog, in dem sich nicht wirklich was tut, obwohl an Äußerungen in den Medien ja reichlich Stoff vorhanden ist. Was mich daran stört, sind die Folgen für die Betroffenen, die offenbar niemand sieht - niemand sehen will. Solche Vorlagen wie die des Psychiaters gestern muss ich dann einfach nutzen .

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24.08.2018 17:53

Boah...Susanne, . mir wird schon übel, wenn ich deinen Text lese. ch weiß nicht, ob ich mir die Sendung anschauen kann oder sollte.

Das du darauf so prompt reagierst finde ich Klasse und danke dir sehr dafür.

Es gab vor 2-3 Jahren ungefähr mal eine Sendung mit Lanz u.a. zum Thema ADHS. Da hatte er Christopher Lauer, Bemjamin von Stuckradt-Barre und Renate Schmidt als Gäste eingeladen. Auch dort ging es um die Definition der ADHS, sowohl bei Kindern und im
Besonderen auch bei Erwachsenen.

Aber tatsächlich zugehört hat Lanz damals vermutlich schon nicht.

Der Typ kann nicht besonders helle sein und ist wohl nur eine hübsche Marionette mit Knopf im
Ohr, die das nachplappert, was irgendein Redakteur ihm souffliert.

Würde er sich selbst um Inhalt und Information seiner Sendung bemühen, kann er nicht gleich zweimal in einer Sendung so einen Mist erzählen. Der hat seinen Gästen ja dann überhaupt nicht zugehört. Oder aber er hörte zu und ist tatsächlich nur dämlich...

Was jetzt schlimmer ist sei dahin gestellt...

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