Braucht man unbedingt eine Diagnose?
Ich bin 38, verheiratet, 3 Kinder und Bürojob.
Unser Sohn (Kind 2) ist im Kindergarten aufgefallen. Jetzt ist er 11 und wir waren bei vielen Ärzten und Therapien. 2016 nach vielen Test mit keiner passenden Diagnose hieß es, da alles nicht passt, könnte es vielleicht adhs sein.
Damals wurde ich bereits gefragt, ob ich es habe.
Unser Sohn hat Medikinet und Intuniv bekommen, er kam mit beiden absolut nicht klar und wir brachen ab.
Seit Oktober 2019 haben wir endlich eine Diagnose, er hat Dyspraxie (eine motorische und ideatorische Entwicklungsstörung). Also eine unheilbare Behinderung, keine Medikamente oder Therapien werden helfen.
Jetzt sollte er eine begleitende Psychotherapie machen. Der Therapeut sagte mir nach dem Erstgespräch, dass er mir sehr raten würde mich auf adhs testen zu lassen. Er sehe bei mir ganz viele Symptome und ich bräuchte dringend mehr innere Ruhe für mich, aber auch für die Kinder.
Ich kam mit 10 Jahre nach Deutschland und viele meiner Probleme wurden einfach durch die Migrationsumstände erklärt. (Zu viele Sprachen, verschiedene Bildungssysteme, verarbeitet so vieles)Ich habe früh Strategien zum "Wegschalten" gelernt, also dass ich wilde Abenteuer im Kopf leben konnte, obwohl mein Körper 2 Stunden ruhig sitzen musste.
Jetzt mit Ende 30 spüre ich die depressiven Phasen mehr als früher, aber mein Mann mit dem ich seit 20 Jahren zusammen bin, hat eine wunderbare Gabe mich aufzufangen und zu puschen.
Unser Kind Nr. 3 ist ein Pflegekind, wird sind gewohnt uns in vielen Gesprächen zu reflektieren, Denkweisen und Handlungen zu hinterfragen. Deshalb lief es bisher auch gut.
Ich bin beruflich erfolgreich, das Jungendamt ist total begeistert von unserer Familie und der Entwicklung des Pflegekindes (ist bereits 4 Jahre bei uns). Unsere Kinder sagen ehrlich, dass ich nicht schreie (ausflippe) aber sie mit der Hektik schon mal verrückt mache. Gerade wenn wir Besuche vorbereiten. (und ich liebe es, Besuch zu haben)
Also wir kriegen es gut hin und trotzdem merke ich, dass ich immer mehr Schlaf brauche, die depressiven Phasen schneller kommen und ich auch wirklich in harmlosen Situationen spüre wie eine Wuthitze im Innern explodiert. Nie Kindern gegenüber, aber anderen Erwachsenen.
Ich habe auf eurer Seite die Liste mit den Tipps gelesen und habe sie mir ausgedruckt, zum Auswendig lernen. Sehr hilfreiche Sachen dabei, die mir im Alltag helfen werde.
Aber wo ist die Grenze erreicht? Ab wann ist eine Diagnose hilfreich?
Wir haben noch Schachteln mit Medikinet retard, kann ich einfach ausprobieren ob es bei mir wirkt?
Muss ich erwarten, dass es mit Hormonwechsel noch schwieriger wird? (bisschen Angst (oder Vorsicht, Respekt) vor Depressionen hab ich schon)
Über unseren Sohn müssen wir noch Baustellen abarbeiten (Pflegegrad, Schwerbehindertenausweis, usw) da kommen noch ordentlich Termine und Aufgaben auf mich zu.
Lohnt es sich dann eine Baustelle für sich selber zu öffnen?
#2
Hallo Sanna,
herzlich willkommen bei uns im Forum.
Ich gehe davon aus, dass du dich im realen Leben nicht Sanna nennst, ansonsten würden wir dich bitten, dass wir deinen Nick ändern dürfen. Man sollte nie unterschätzen, wer alles im Internet mitliest, jetzt und in Jahren, und uns ist der Schutz unserer Foris sehr wichtig.
Zitat von Sanna im Beitrag #1
Also wir kriegen es gut hin und trotzdem merke ich, dass ich immer mehr Schlaf brauche, die depressiven Phasen schneller kommen und ich auch wirklich in harmlosen Situationen spüre wie eine Wuthitze im Innern explodiert. Nie Kindern gegenüber, aber anderen Erwachsenen.
(...)
Aber wo ist die Grenze erreicht? Ab wann ist eine Diagnose hilfreich?
Es klingt banal, aber die Grenze ist dann erreicht, wenn dein Leidensdruck hoch genug ist, dass du zum Telefonhörer greifst und dir einen Termin für eine Diagnostik holst.
Wenn ich deine Vorstellung so lese, dann dürfte dieser Punkt bald erreicht sein, und ich kann dich nur ermutigen, diesen Schritt zu gehen. Falls du eine ADHS hast, dann kompensierst du anscheinend sehr gut, aber es kostet Kraft - Kraft, die dir langsam ausgeht. Es wäre daher gut, rechtzeitig zu intervenieren. Du solltest dabei auch bedenken, dass man oft monatelang auf einen Diagnostiktermin warten muss.
Zitat von Sanna im Beitrag #1
Wir haben noch Schachteln mit Medikinet retard, kann ich einfach ausprobieren ob es bei mir wirkt?
Nein, auf keinen Fall! Ein solches Medikament darf immer nur derjenige nehmen, für den es gedacht ist. Lass es also bitte bleiben.
Zitat von Sanna im Beitrag #1
Muss ich erwarten, dass es mit Hormonwechsel noch schwieriger wird? (bisschen Angst (oder Vorsicht, Respekt) vor Depressionen hab ich schon)
Ja, das ist leider recht wahrscheinlich. Menschen mit ADHS haben oft eine ausgesprochen anstrengende "Superpubertät", und wir Frauen dann auch noch später "Superwechseljahre" . Auch aus diesem Grund hat es Vorteile, rechtzeitig vorher eine Diagnose, eine Therapie und eventuell eine gute eingestellte Medikation zu haben.
Ich finde es bewundernswert, was du alles schaffst. Übernimm dich aber bitte nicht, siehe oben. Mir selbst ist mein ganz ähnliches Leben (damals auch Mitte 30 oder so, drei Kinder und Job) in dem Alter ganz schön vor die Füße gefallen, ich habe mich diagnostizieren lassen, zeitweise Medikamente genommen, und immer mal wieder therapeutische Unterstützung bekommen. Ohne dies wäre ich zeitweise sicherlich völlig zusammengeklappt. Nach außen merkt das kaum jemand, da bin ich immer diejenige, die funktioniert, beruflich viel quasseln und schwierige Leute sortieren muss, und in der Familie die Wahnsinnigen wieder ordnet. Ja. Nach außen halt .
Liebe Grüße
Mandelkern
Vielen Dank für das genaue Hinhören (lesen) , mir gefällt der Ton hier im Forum echt gut.
Nein, Sanna ist ein aus der Luft gegriffener Nickname. :-)
Beruflich viel quasseln und schwierige Leute sortieren beschreibt genau meinen Job.
Das Quasseln macht mir aber auch mein Privatleben schwer, vom Herz auf die Zunge. Mittlerweile meide ich viele Verabredungen, weil ich z.B. nicht von unserem Sohn erzählen will, bei vielen Leuten fehlt da die Akzeptanz und mir tut es weh ihre (unsachliche) Meinung über ihn (oder unseren Weg) zu hören. Kennt ihr ja sicher auch.
Ich schaffe es aber nicht mich zurück zu halten und rede und rede...
In der Liste auf eurer Seite stand ein Punkt, dass man akzeptieren soll, dass man immer nach einem "Kick" sucht.
Das erklärt es sooooo gut, mein ewiges Jagen nach dem Kick im Leben und gleichzeitig merken, dass es zu viel ist. Mein Mann muss soviel ausbaden, von dem was meine Ideen uns so einbringen.
Mir ist trotz der vielen Aufgaben und Arbeit oft furchtbar langweilig. Das Alltägliche wie Haushalt ist so monoton. Wäsche und Putzen geht mit Netflix auf dem Laptop super. Aber durch die Arbeit bin ich ja nie allein zu Hause und wir hatten uns geschworen, dass niemals TV/Talbet/Film läuft, wenn die Kinder da sind. Also lade ich mir Besuch ein, damit ich Druck habe und eine Deadline.
Erzeugt natürlich Stress, den die Kinder ja negativ bemerken.
Zu Ärzten zu gehen, fällt mir wahnsinnig schwer. Ich bin zum Glück körperlich gesund und gehe nur alle 4 Jahre hin, wenn ich eine Mutter-Kind-Kur mache.
Irgendwie denkt man doch immer, noch diese Aufgaben schaffen (oder xy verändern) dann wird es bestimmt besser.
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