Tripple P Programm Wasn das?
Dein Bericht ist schon interessant, zumal meine Sohnemann auch auf Personen, die er sehr gerne mag, z.B. seine Erzieherin im KiGa, stetig positiv reagiert und sich sehr gut "führen lässt". Wenn er auf Personen negativ reagiert, dann liegt das oft daran, dass er über seine sensiblen "Antennen" schon im Vorfeld wahrnimmt, dass die entsprechende Person ihm gegenüber nicht sehr wohlgesonnen ist. Er reagiert sozusagen auf die intuitiv wahrgenommene Ablehnung dieser Person in gleichem bzw. stärkerem Maße zurück. Hm...weißt Du, was ich meine? Ist gar nicht so einfach, das auszudrücken. Er reagiert z.B. im KiGa genau auf die Mütter am negativsten, die ihn schon im Vorfeld ablehnen, weil er...was weiß ich...immer so laut und lebhaft ist. Bzw. ist er das eigentlich gar nicht immer, aber halt genau dann, wenn die betreffenden Damen kommen, was dann deren vorausgeschickte negative Erwartungshaltung bestätigt.
Diese Leute könnten dann wahrscheinlich formulieren, was sie wollen, da würde er erstmal immer negativ reagieren. Da müsste sich schon die Grundeinstellung der Leute ändern. Aber - man muss ja nicht mit allen können, sag ich immer!
Die eigenen Eltern, speziell die Mütter, haben dann wahrscheinlich immer nochmal ne Sonderstellung, weil sich die Kinder da immer mehr erlauben und trauen, als bei anderen. Dein Beispiel mit dem "Spiel-Würfel" bestätigt mir, was ich auch bei meinem Sohn feststellen konnte, dass er nicht sooo viel Wert auf materielle Dinge legt, bzw. deren Wert nicht so gut einschätzen kann, da sie ihm im Prinzip nicht so wirklich wichtig sind. Ich habe mich z.B. früher auch oft darüber geärgert, dass ihm das total egal war, wenn ich ihm als Strafe sein Lieblingsspielzeug weggenommen habe (für kurze oder längere Zeit, je nachdem). Nachdem ich gemerkt habe, dass diese Maßnahme ziemlich wirkungslos ist, habe ich sie einfach nicht mehr eingesetzt. Mit der Zeit bekommt man dann mit, was bei den eigenen Kids wirklich "zieht", und da kann man dann einhaken.
LG
Pretty Mama
Du hast geschreiben, dass Du Triple P zu etwa 20 % umsetzt - das ist nicht gerade viel und schon allein dadurch wahrscheinlich nicht besonders wirkungsvoll.
Erlaube mir einige Anmerkungen zu deinen Punkten. Du hast geschrieben:
Pkt.1 positive Grundlagen: Aufmerksamkeit von mir hat er eigentlich immer ( wenn auch meistens [i]im negativen Bereich). [/i] Genau das willst Du ja ändern, oder? Die Aufmerksamkeit sollte möglichst immer positiver Art sein!
Zu Pkt2 sichere Umgebung und Anregung: Ich würde gern öfter mit ihm spielen doch er hat ein grosses Problem damit zu verlieren und er stellt gerne seine eigenen Regeln auf. ... Basteln oder malen sind voll unter seiner Würde: Eh mama ich bin doch kein kleines Baby mer!!!" Und lesen ja wenn ich ihm vorlese aber selber lesen :Warum soll ich lesen, ich kann das doch schon". Das einzige was er den ganzen Tag mit mir spielen möchte ist Fussball (im garten oder per Nintendo)... Die positive Zeit, die man mit seinem Kind täglich verbringen sollte, soll wirklich auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes abgestimmt sein. D.h., in der Zeit sollte man dann nicht das anspruchsvollste Spiel, das schwierigste Puzzle usw. aussuchen, wo schon vorprogrammiert ist, dass die Zeit negativ endet. Ggf. kann man auch mal Regeln geringfügig abändern. Es sollte jedenfalls immer ein positiver Abschluss gefunden werden. Diese bestimmte Zeit sollte wenigstens 10 minuten am Tag sein (intensive Beschäftigung), so dass Du sicherlich auch nicht den ganzen Tag Fußballspielen musst. Ich denke, man soll auch nicht zum Vollzeit-Animateur für seine Kinder werden - die sollen schon auch lernen, sich mal alleine zu beschäftigen.
Pkt3 positive Anweisungen:...wenn ich ihn bitte doch nicht mehr zu schreien kannst du deinen letzten Kochtopf darauf verwetten das er noch lauter wird. Oder die Schimpfwörter; die werden erst so richtig interesant je öfter Mama ihn bittet sie nicht zu sagen. Wenn Du ihn bittest, nicht mehr zu schreien, ist das keine positive Formulierung! Richtig wäre: "Sprich bitte leise(r)" ggf. noch verbunden mit einer freundlichen Berührung, z.B: über die Schulter streichen o.ä.. Das Gleiche gilt natürlich für die Formulierung mit den Schimpfwörtern. Zu Beginn der "Umstellung" kostet etwas Mühe und Überlegungen, wirklich stets positiv zu formulieren, aber je öfter man es anwendet desto selbstverständlicher wird es dann mit der Zeit.
Zu Pkt.4 natürliche Konsequenzen: Die einzige Konsequenz mit der ich was bewirke ist die Trainingsperre,wenn das nichts nützt die komplette Fussballsperre... Die Fußballsperre ist aber keine "natürliche Konsequenz", sondern eine von Dir angedrohte und ggf. umgesetzte Konsequenz. "Natürlich" wäre, wenn Du selbst nicht reagieren müsstest, sondern sich die Konsequenz automatisch aus der Situation heraus ergeben würde, sprich, das Kind ganz natürlich auf eine Situation reagiert. Das kann man aber oft nicht wirklich steuern, sondern ergibt sich eben aus der Situation heraus. Wichtig dabei ist, dass man eben drüber nachdenkt, ob und welche Reaktionen von einem wirklich wichtig und angebracht sind. Wo also Handlungsbedarf wirklich gegeben ist. Wichtig ist dabei auch, dass die Konsequenz in einem direkten und zeitlichen Zusammenhang zu dem unerwünschten Verhalten steht. Die Trainingssperre ist z.B. dann passend, wenn Dein Sohn vorher etwas tun sollte und das nocht nicht beendet hat. z.B. Hausaufgaben oder bestimmte Hausarbeit. Dann ist es ganz logisch, dass er nicht zum Training kann, da er noch nicht fertig ist. Ansonsten steht außer Frage, dass die Konsequenzen immer 2. Wahl sind, da sie ja die Folgen negativen Verhaltens sind. Besser ist allemal das Verstärken und Belohnen von positivem Verhalten! Wenn er also etwas geschafft hat und dann zum Training gehen kann, solltest Du das betonen, z.B. "Hey klasse, Du hast super Deine Hausaufgaben geschafft, dann kommst du rechtzeitig zum Training, das freut mich für Dich!" Das klingt zwar lapidar, aber unterschwellig kommt die positive Botschaft beim Kind an, da bin ich mir sicher! Wir Erwachsene freuen uns doch auch über einen kurzen, freundlichen Satz eines z.B. netten Kollegen, oder?!
Zu Pkt.5 Belohnung: Meist sind es grosse Dinge die er als Belohnung will. Fernsehen oder länger aufbleiben kann ihn nicht locken. Weiss er doch das er eh länger aufbleiben darf...Bei kleinen Dingen wie z.b. das neue Micky Maus Heft oder ein neues Päckchen panini Bilder kriegt er einen Ausdruck ins Gesicht der wohl sagen soll," War das alles,also jetzt hab ich mir echt Mühe gegeben und was springt dabei für mich heraus. Diese Aussagen verdeutlichen schon sehr stark, wie sehr Du in der Falle sitzt! Wenn er weiß, dass er eh länger aufbleiben darf, egal, ob er eine Anweisung befolgt oder nicht, dann ziehst Du das Ganze aber auch nicht richtig durch! Wenn Du sagst, er darf später noch fernsehen, wenn er dies oder jenes befolgt und macht es dann doch nicht, musst Du zu Deinem Wort stehen und er darf dann eben nicht mehr fernsehen! Da wird es sicher Rebellion, Streit und Tränen geben, da er das ja nicht gewohnt ist, aber wenn er merkt, dass du es zukünftig Ernst meinst mit Deinen Aussagen, wird er es irgendwann zähneknirschend akzeptieren, auch wenn es bei ADHS-Kindern länger dauert.
Zum Stillen Stuhl wollt ich noch sagen. Auf den Spielplatz haben wir die 5. Minuten Bank eigeführt. Beim ersten mal sollte er 5 minuten sitzen bleiben und für jedes weitere mal 5 minuten mehr .er hat es an einem Nachmittag spielend auch 45 minuten gebracht. Der Stille Stuhl bedeutet, das Kind soll ruhig X min.-je nach Alter- auf der Bank sitzen und kann dann weiterspielen. Während dem Stillen Stuhl solltest Du als Mutter auch nicht ständig rumlamentieren und weiterschimpfen, sondern möglichst sachlich in deinem bisherigen Tun fortfahren. Nach dem Beenden des Stillen Stuhles sollte auch nicht mehr weiter auf das vorherige Geschehen eingegangen werden, sondern nur kurz gelobt werden, dass das Kind still sitzengeblieben ist und dass man sich freut, dass es jetzt weiterspielen kann. Wenn es erneut zum stillen Stuhl kommt, muss die Zeit nicht verlängern werden, halt nur wieder von neuem durchgezogen werden. Aus welchem Grund wendest Du die 5-min.-Bank auf dem Spielplatz an? Und saß er da wirklich still 45 min lang?!
M.ist ein so lieber Kerl...
Oh ja, unsere kleinen AHDS-Teufelchen sind im Grunde ihres Herzens die liebevollsten und tollsten Kinder der Welt, auch wenn sie uns schon einige Nerven kosten...!
in diesem Sinne...ich freu mich schon auf Deine Antwort!
LG
PrettyMama
Hallo Pretty Mama!
Ich verstehe das natürlich,was du da schreibst!
Ich habe diese Probleme heute noch.
Nur das ich inzwischen weis,das man manche Aktionen eben sein lassen sollte
und sich alles etwas ans Erwachsensein angepasst hat(das heist,ich stelle mich heute nicht mehr grinsend auf die Straße).
Was mir nicht immer gelingt,aber ich es fast immer schaffe,es für eine kurze Zeit zu überbrücken,
bis ich dann alleine oder so bin.
So,das Außenstehende das gar nicht bemerken und mich dann meistens für etwas anders einschätzen
aber ansonsten akzeptieren.
Ich sage auch nicht jedem,was ich habe.
Nur eins habe ich im laufe der Jahre bei mir beobachtet.
Dieses Verhalten ist bei mir nicht immer davon abhängig,welche Person mir gegenüber steht,sondern wie es mir im allgemeinen geht.
Das heißt,wenn ich über längeren Zeitraum überfordert bin,
dann habe ich das Verhalten genauso bei Menschen die ich eigentlich sehr lieb habe
(soweit ich das mit diesem Gefühl einschätzen kann)!
Manchmal fast sogar noch mehr,also verstärktes Verhalten!
Teilweise habe ich dann schon die Beobachtung gemacht,
das ich mein Verhalten bei anderen Personen(auch wenn ich sie nicht außstehen kann)konntrollieren kann.
Sobald ich dann aber zu hause bin,jegliche Konntrolle über mich verliere.Zumindestens für eine Weile.
Ich hoffe,du verstehst jetzt,was ich meine.Es ist für mich immer schwierig,etwas zu beschreiben.
Deswegen nehme ich immer Beispiele dazu,was ich so erlebt habe.
Ach,da fällt mir doch ein.Habe ich dazu schon erwähnt,das wir eine Sprechanlage vom Keller nach oben haben.
Auch mein Mann sitzt nicht gerne nur vor seinem Rechner!
Manchmal kommt dann der Satzt:"Schatz,wie geht es dir?Alles in Ordnung?"
Bis bald,Ailixia!
Hallo Pretty Mama!
Entschuldige das du so lange auf meine Antwort warten musstest.Ich bin für deine Anregungen und auch die Kritik sehr dankbar,schließlich ist alles noch so neu und die alten Erziehungsmuster sehr festgefahren bei mir. Du hast recht wenn du sagst ich wäre nicht konsequent genug. Meistens gehe ich den einfachen Weg und gebe nach weil ich einfach nicht mehr kann. Ausser meiner Tochter hab ich auch keinen der mir hilft und ich weiss oft nicht wie es weitergehen soll.
Ich hab M.doch lieb und möchte auch nichts falsch machen. Aber ich weiss einfach nicht wie. Hinzu kommt das ich auch noch alles allein machen muss da mein Mann nicht akzeptiert das ADS eine Krankheit ist und mich dabei auch kaum unterstützt.
Er ist auch nicht bereit mal ins Forum zu schauen geschweige denn mal mit zur Elterngruppe zu gehen. Er hat ja auch keine Probleme mit den Kindern. Er sagt etwas nur einmal und die Kids machen es, ich hingegen muss es 3 mal sagen. Und das versteh ich nicht.Ich kriege keine Harmonie in unser Familieleben: dauernd wird nur geschrien. M. kann schon fast nicht mehr leise reden alles wird nur noch herausgeschrien.
Ich hab keine Nerven mehr und könnt den ganzen Tag nur heulen.
Entschuldige aber das musste ich mal loswerden.
Nun zu deiner Frage: Die 5-Minuten Bank hab ich angewand wenn er zb. die Kids provziert hat oder ihnen Sachen weggenommen hat, sie mit Sand beworfen hat,sie einfach nur gepiesackt hat, bis die anderen weinten. Und nein er hat nicht still gesessen,die Beine oder der Mund waren immer in Bewegung da er oft disskutiert hat mit mir.
Freu mich auf deine Antwort.
Tina
Hallo Pretty Mama,
sorry, dass ich so spät auf deine Tripe-P-Postings antworte. Wir haben zur Zeit Verwandtschaftsbesuch aus den USA, so dass ich in den letzten paar Wochen kaum dazu kam, mal in's Forum zu schauen.
Der Begriff "Störungsbildteaching" bedeutet die Vermittlung eines funktionellen Verständnisses der ADHS-Symptomatik. Kinder mit ADHS haben bekanntlich einen besonderen, ADHS-spezifischen Wahrnehmungsstil, d.h., eine besondere Art, "die Welt" zu sehen und auf sie zu reagieren. Das "Störungsbildteaching" ist Schwerpunkt des ADHS-Elterntrainings, zieht sich durch das gesamte Elterntraining durch und soll die Eltern u.a. in die Lage versetzen, sich und "die Welt" aus der Perspektive ihres ADHS-Kindes zu sehen. Dabei lernen sie z.B., dass ADHS-Kinder in erster Linie keine Verständnis-Probleme, sondern vielmehr UMSETZUNGS-Probleme haben. Wie ich schon geschrieben habe, wissen die Kinder i.d.R. sehr wohl, was verhaltensmäßig von ihnen erwartet wird bzw. mit welchen Verhaltensweisen sie sich (und anderen) schaden und das Leben schwer machen, und mit welchen nicht. Und genau das ist ihr Problem: Sie wollen wie andere Kinder sein und die Erwartungen ihrer Eltern, Erzieherinnen und LehrerInnen erfüllen, und leiden selber am meisten darunter, dass sie es nicht können. Wenn man das verstanden hat und weiß, warum das so ist, dann kann man auch verstehen, warum große erzieherische Erklärungen und Belehrungen (="moralisierendes Appellieren") bei diesen Kindern auf Dauer nicht viel bewirken, sondern kontraproduktiv sind. (Manche jüngere ADHS-Kinder werden das aufgrund der "elterlichen Übermacht" vielleicht noch über sich ergehen lassen, aber die Eltern sollten sich da nichts vormachen: Die "Rechnung" kriegen sie spätestens in der Pubertät präsentiert!)
Gerade durch das Störungsbildteaching im ADHS-Elterntraining wird vermittelt, dass es nicht genügt, dass sich die Eltern durch das Erlernen von irgendwelchen Erziehungsmethoden "besser fühlen", weil sie schließlich "etwas tun" wollen und dazu praktische "Patentrezepte" an die Hand bekommen. Es geht vielmehr darum, was dem ADHS-Kind hilft, besser mit seiner Symptomatik und Umwelt zurecht zu kommen, und was uns hilft, ihm dabei zu helfen.
Mit meiner kritischen Würdigung von Triple-P wollte ich übrigens keinesfalls die von dir berichteten positiven persönlichen Erfahrungen damit in Abrede stellen. Wie käme ich auch dazu, dir da zu widersprechen? Das wäre ungefähr das Gleiche, wie wenn ich sagen würde, dass bei mir das 10-malige Wiederholen eines buddhistischen Mantras gegen Kopfschmerzen hilft, und mir da jemand widersprechen würde. Das wäre eine unzulässige, ja unerträgliche Anmaßung, denn schließlich wären es meine Kopfschmerzen und könnte nur ich beurteilen, ob diese nach den Mantras noch da sind oder nicht. Persönliche Erfahrungen sind grundsätzlich nicht widerlegbar, auch wenn sie deshalb noch lange nicht generalisierbar sein müssen.
Viele Grüße
Mike
Nochmals hi Pretty Mama,
ist es nicht "ADHS-typisch", dass ich noch und zu einigen Punkten deines Postings vom 31.7. meinen Senf dazu geben muss? :
"Ich möchte durch meine Erziehung erreichen, dass mein Kind trotz des ADHS selbständig und bestmöglich durchs Leben kommt." Genau darum geht es uns ja allen. Schließlich zeichnet alle Eltern aus, dass sie ihre Kinder lieben und nur das Beste für sie wollen. ADHS ist aber eine Tatsache, die wir verstehen, akzeptieren und bei der Erziehung unbedingt berücksichtigen müssen. Der Ausgangspunkt des Weges, an dessen Ende die ADHS-Diagnose stand, war ja bei vielen von uns gerade die leidvolle Erfahrung, dass die "üblichen" Erziehungsmethoden bei unseren Kindern nicht funktionierten (was oftmals durch den direkten Vergleich mit nicht von ADHS betroffenen Geschwistern zusätzlich bestätigt wird).
"Und das schaffe ich sicherlich nicht dadurch, dass ich ständig als 'Ausrede' anführe, dass mein Kind ja unter ADHS 'leidet' und deshalb erziehungsunfähig ist!" Wären unsere ADHS-Kinder 'erziehungsunfähig' (womit du sicherlich 'nicht erziehbar' meintest), dann wäre das ADHS-Elterntraining im Rahmen des multimodalen Therapiekonzeptes überflüssig, weil nutzlos. (Ebenso überflüssig wäre es, wenn Triple-P den erzieherischen Bedürfnissen von Kindern mit ADHS hinreichend gerecht werden würde.) Die einschlägigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften haben aber längst erkannt, dass die beste Therapie und alle Pillen der Welt häugig wenig nützen, wenn die Eltern nicht mit im Boot sind und ihr Kind weiterhin so zu erziehen versuchen, als hätte es kein ADHS. Und genau das Letztere würden die meisten Eltern ohne funktionelles Verständnis der ADHS-Symptomatik im Endeffekt tun, weil sie es ohne dieses Verständnis gar nicht anders könnten.
Und was ADHS als "Ausrede" angeht: ADHS ist keine Entschuldigung, sondern eine Erklärung! Selbstverständlich müssen wir unseren Kindern vermitteln, dass sie, wie jeder Mensch, für ihr Verhalten selbst verantwortlich sind. Wir müssen aber auch anerkennen, dass unsere Kinder dies ohne eigenes Verschulden unter erschwerenden Bedingungen tun, nämlich aus neurobiologischen Gründen und aufgrund des damit verbundenen Potentials an negativer sozialer Interaktionsdynamik. Es kann deshalb nicht Aufgabe der Eltern und des erzieherischen Umfelds sein, dies zu ignorieren und ihnen dadurch zusätzliche Klötze zwischen die Beine zu werfen.
Natürlich werden wir es nie schaffen, bei allen Menschen, mit denen unsere Kinder zu tun haben, unter Hervorhebung ihres ADHS Verständnis für deren besonderen Schwierigkeiten und Bedürfnisse zu wecken. Das geht nur bedingt und bei unvoreingenommenen Menschen, die dafür ein offenes Ohr haben und auch kooperationsbereit sind. In anderen Worten: Man muss äußerst feinfühlig vorgehen und sich die Leute, denen man mit ADHS kommt, vorher genau anschauen. Wer sich immer und überall nur mit dem "ADHS-Schild" als Entschuldigung vor sein Kind stellt, der tut ihm damit ganz bestimmt keinen Gefallen, trägt höchstens noch zu dessen Stigmatisierung bei und läuft zudem Gefahr, sich in einen ständigen Rechtfertigungszwang gegenüber jedermann zu begeben. Ich glaube, dass man nicht viel Fantasie benötigt, um zu erkennen, dass das zu nichts Gutem führen kann und unseren Kindern damit ganz bestimmt nicht geholfen ist. Unsere Kinder brauchen vielmehr starke Eltern, die es nicht nötig haben, sich immer und überall bei jedermann dafür zu entschuldigen, dass ihr Kind überhaupt lebt und so ist, wie es ist. ADHS gehört schließlich zur Persönlichkeit unserer Kinder, auf deren freie Entfaltung sie ein grundgesetzlich geschütztes Recht haben! Sie zu schützen und ihnen - trotz aller ADHS-bedingten Widrigkeiten - eine möglichst gesunde Entwicklung zu lebenstüchtigen Erwachsenen zu ermöglichen, ist unser ureigenstes Recht und die uns zuvörderst obliegende Pflicht. Und unsere Kinder müssen wissen - ja, sich absolut sicher sein - dass wir als ihre Eltern stets auf ihrer Seite stehen und immer für sie da sind, egal was passiert (oder was sie "mal wieder ausgefressen" haben). Wenn wir ihnen das nicht nur durch unsere Worte, sondern auch durch unser Verhalten stets unmissverständlich zeigen, dann werden sie auch die Schwierigkeiten, die ihnen andere bereiten bzw. die sie sich bei anderen "einhandeln" ohne größere Schäden für ihre Persönlichkeitsentwicklung überstehen. Gerade ADHS-Kinder müssen die Gewissheit haben, dass ihre Eltern stets auf ihrer Seite sind und eisern zu ihnen stehen, egal was kommen mag, und auf gar keinen Fall nur als "Belohnung" für erwünschtes Verhalten! Aus seiner subjektiven Sicht muss das Kind die Gewissheit haben: "Auch wenn die ganze Welt gegen mich ist, kann ich mich darauf verlassen, dass es jeder, der mir Böses will, mit meinen Eltern zu tun bekommt." Das ist die Basis für die Entwicklung des Selbstvertrauens, dass die Kinder einmal benötigen werden, wenn wir sie ins selbständige Erwachsenenleben entlassen (müssen).
"Wie hältst du es denn mit der Erziehung? Ich muss doch - trotz allem - meinem Kind in irgendeiner Form erzieherisch begegnen." Siehe oben: Erziehung, selbstverständlich! Aber das Kind dabei bitte nicht als "Gegner" behandeln, den es gilt, mit allen Mitteln zu einem angepassten Engel und "everybody's darling" hinzubiegen. Bei einem ADHS-Kind würde das nicht selten bedeuten, ihm das Rückgrat brechen zu müssen, in dem Versuch, möglichst den Vorstellungen anderer zu entsprechen. Aber Menschen ohne Rückgrat gibt es auch so schon genug.
Positive Erziehung, einschließlich möglichst positiv formulierte Anweisungen und positiv formuliertes Feedback, dabei möglichst wenige negative, das Selbstbild schädigende erzieherische Verhaltensweisen, muss selbstverständlich auch das Ziel bei ADHS-Kindern sein. Da gebe ich dir vollkommen Recht, dass wir Eltern nicht nachlassen dürfen, diesem Ideal - allen Widrigkeiten und naturgemäßen Rückschlägen zum Trotz - unbeirrt entgegen zu streben. Allerdings müssen wir Eltern auch anerkennen und akzeptieren, dass der Weg zum Ziel ein anderer - und steinigerer - ist, wenn ADHS im Spiel ist.
Viele Grüße
Mike
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