[nicht empfehlenswert] Richard Saul: Die ADHS-Lüge
Auf der Facebook-Seite des ADHS Deutschland e.V. habe ich die Rezension von Dr. Johannes Streif gefunden:
Hier ist es – das Rezensionsexemplar von Richard Saul’s „Die ADHS-Lüge. Eine Fehldiagnose und ihre Folgen“. Offiziell erscheinen wird die Übersetzung von „ADHD does not exist. The truth about ADHD“ am 21. März. Eine umfangreiche Rezension wird in den kommenden Tagen folgen.
Ein erster Eindruck bestätigt die Befürchtungen und beruhigt zugleich: Es ist ein unwissenschaftliches Sammelsurium an Uralt-Spekulationen zur ADHS. Es ist nicht ADHS, es sind Sehstörungen (jedoch nicht wie sie Reinhard Werth in „Legasthenie und andere Lesestörungen“ als Teil der komplexen Wahrnehmungsfunktionen des Gehirns beschreibt, sondern auf dem Niveau von: Vielleicht braucht ihr Kind eine Brille?), Schlafstörungen, Substanzmissbrauch, Depressionen, Hörprobleme (analog zum Sehen nicht Sprachverständnisstörungen, wie sie die Pädaudiologie untersucht, sondern Schwerhörigkeit, wie sie in jedem Hörtest seit 100 Jahren festgestellt werden kann), Sensorische Verarbeitungsstörung (das ätiologisch überholte Konzept der „Sensorischen Integration“ von Jean Ayres lässt grüßen, jedoch abzugrenzen von der oft sehr guten Arbeit der Ergotherapeuten, die mit SI arbeiten), Hochbegabung, Anfallsleiden, Zwangsstörungen, Tourette-Syndrom, Asperger, neurochemisch bedingte Ablenkbarkeit (dieser Abschnitt über Serotonin und Noradrenalin hat ausgeprägt humoristische Züge, so albern sind die Ausführungen), Schizophrenie, Fetales Alkoholsyndrom, Fargiles X und andere Ursachen (schlechte Ernährung, Allergien, Schilddrüsenüberfunktion, Hypophysentumor, Frühgeburt, Schwermetallvergiftung).
Richard Sauls Buch ist auf dem Stand des medizinisches Wissens von 1970 (und das nicht einmal durchgängig!), in gewisser Hinsicht fast anrührend „Vintage“, so dass es in frühen Mitstreitern der ADHS-Selbsthilfe durchaus ein bisschen Nostalgie aufkommen lässt: „Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als wir glaubten, die Hyperaktivität käme vom Phosphat in den Lebensmitteln?“ Hahaha! Wenn es nicht so traurig wäre … Modern ist bei Saul einzig der Anmerkungsapparat: 247 Fußnoten, in denen fast ausschließlich Internetseiten als Quellen genannt werden. Statt wissenschaftlicher Publikationen zitiert der Kinderarzt mit Vorliebe die New York Times, CBC News, ABC News, WebMD, ScienceDaily und zig Websites von irgendwelchen Organisationen, die ihr Klientel vertreten, sei es blind, taub, sensorisch auffällig oder hochbegabt.
Derzeit ist das Buch im „Amazon Best Sellers Rank: #145,263 in Books“ in den USA. Tröstlich, dass die Amerikaner 145.262 andere Buchtitel für lesenswerter halten. Platz 1: „Dead Wake: The Last Crossing of the Lusitania“ über den Untergang des Kreuzfahrtschiffes, das 1915 von einem deutschen U-Boot versenkt wurde. Oder Platz 4: „The Complete Vegetarian Cookbook“ – im mittleren Westen der USA sicher ein Verkaufsschlager. Hoffen wir, dass sich der ansonsten nicht durchgängig gerühmte gute amerikanische Geschmack zumindest in Hinsicht auf die ADHS-Lektüre auch in Deutschland durchsetzt. Wer sich am schlechten Geschmack auf einer Meta-Ebene weiden mag, der lese in einigen Tagen wieder an dieser Stelle, wenn es heißt:
Was bisher geschah: Der greise amerikanische Kinderarzt Dr. Richard Saul ist in Rente und weiß nicht, was er tun soll. Seine Frau schlägt ihm vor, ein Buch zu schreiben, am besten einen Bestseller. „Fifty shades of ADHD“ soll er heißen. Zu differenziert, erwidert der rüstige Rentner und schlägt vor „ADHD does not exist“. Aber Schatz, die ADHS existiert, sonst würdest Du Deinen Ruhestand genießen, mal ein gutes Buch lesen, statt ständig im Internet von Seite zu Seite zu springen, oder zu einem guten Arzt gehen, denn Du siehst und hörst im Alter immer schlechter. Doch Saul kann nicht anders. In 24 Stunden klickt er ein Buch zur ADHS zusammen oder das, was er von der ADHS versteht. The following takes place between 11pm and midnight …
Dr. Johannes Streif
Und hier ist noch der Link zur Facebook-Seite: ADHS Deutschland e.V.
Viele Grüße
Susanne
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