Schwierigkeiten mit der richtigen Medikation

12.09.2021 14:09
avatar  Lali
#1
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Liebe Forenmitglieder,

nachdem ich lange mitgelesen habe und versucht habe, mein Problem durch die Hilfestellungen in anderen Threads zu lösen, muss ich nun doch ein eigenes Thema aufmachen.

Bei mir wurde im Mai 2020 ADHS diagnostiziert. Aufgrund mehrerer Klinikaufenthalte ist meine Diagnosenliste aber mittlerweile lang, ich bin also gar nicht so 100%ing sicher, ob denn nun ausgerechnet ADHS wirklich stimmt (unter anderem auch emotional instabile PS, da ist die Abgrenzung ja besonders schwierig, Hochbegabung, Depression, ...).

Im Dezember 2020 habe ich mich auf den Versuch einer Medikation eingelassen. Es wurde mit 5mg Medikinet Adult gestartet und langsam aufdosiert.
Die beste Wirkung hinsichtlich Konzentration und Ausdauerfähigkeit habe ich bei 20mg als Einzeldosis und mittags dann nochmal 10-20mg.

Ich glaube aber, dass mich diese Dosis depressiv / suizidal macht und vermute, dass ich demnach eher überdosiert bin. Ihr schreibt von "Kanalratten", die zum Vorschein kommen können. Aber die ausgeprägten depressiven Symptome fühlen sich nicht passend zu meiner eigentlichen aktuellen psychischen Verfassung an. Erwarte ich also möglicherweise zu viel vom Medikinet und bin mit 10mg schon gut eingestellt (weniger impulsiv, weniger Tagesmüdigkeit)? Ich weiß auch, dass ich völlig vergesse zu essen, wenn ich 20mg nehme. Und das ein Teil von mir das toll findet.

Ich denke, ich habe überhaupt kein Selbstvertrauen und kein stabiles Bild von mir, mit dem ich abgleichen kann, was nun mal wieder nen Borderlinetief, ne Medikamentennebenwirkung oder ein depressives Loch ist.

Auch der Zusammenhang von Medikinet und Essen ist schwierig. Mein Psychiater selbst sagt, nur die erste Mahlzeit ist wichtig, mein (ehemals essgestörtes) Ich scheitert an den Informationen hier aus dem Forum (regelmäßig essen) und meine Therapeutin findet, ein Wechsel des Medikaments, weil ich die Mahlzeiten nicht auf die Reihe bekomme, ist der falsche Ansatz.

Insgesamt ist meine Situation mit Medikinet anders, aber ebenfalls nicht zufriedenstellend. Ich sehe den Punkt meiner Thera, dass die Einstellung des ADHS wichtig ist, weil ich zu viel Kraft für Tagesstruktur, Ausgeglichenheit usw. aufwenden muss, die ich eigentlich zur Aufarbeitung von Trauma etc. benötige. Aber ich weiß nicht, wie ich in die richtige Medieinstellung finde und habe den Eindruck, dass mein Arzt kein anderes Medikament nehmen will.

Ich weiß gar nicht, ob ihr irgendwas mit dem Geschriebenen anfangen könnt und erwarte natürlich keine Lösung. Aber ich würde mich dennoch über Gedanken von Außen freuen.

Vielen Dank.


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12.09.2021 16:00
#2
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Zitat von Lali im Beitrag #1
... nachdem ich lange mitgelesen habe ...

Sei herzlich willkommen bei uns im Forum Lali !

Zitat von Lali im Beitrag #1
... ist meine Diagnosenliste aber mittlerweile lang, ich bin also gar nicht so 100%ing sicher, ob denn nun ausgerechnet ADHS wirklich stimmt (unter anderem auch emotional instabile PS, da ist die Abgrenzung ja besonders schwierig, Hochbegabung, Depression, ...).

Mit der ADHS wurdest du geboren. Inzwischen hat sich da so einiges draufgesattelt: Emotional instabile PS, Depression ... dein Beitrag lässt auch eine Essstörung vermuten. Das erklärt, weshalb erst mal deine ADHS medikamentös eingestellt werden muss, damit deine anderen Baustellen bearbeitet werden können. Insofern bin ich da ganz bei deiner Therapeutin.

Die Hochbegabung macht es dir einfacher, die Zusammenhänge zu verstehen; sie sorgt aber auch dafür, dass du dir ständig selbst im Weg stehst - mehr als ohne die HB.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Es wurde mit 5mg Medikinet Adult gestartet und langsam aufdosiert.

Das ist normal, üblich und richtig.

Zitat von Lali im Beitrag #1
... bei 20mg als Einzeldosis und mittags dann nochmal 10-20mg.

Auch das ist üblich - es ist der richtige Weg.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Ihr schreibt von "Kanalratten", die zum Vorschein kommen können.

Du hast dich offenbar tief ins Forum eingelesen - Chapeau! Lass uns hier unterscheiden zwischen der Depression, die sich auf deine ADHS draufgesattelt hat, und den depressiven Gedanken, wenn mal wieder eine Kanalratte auftaucht. Durch die Medikation siehst du vieles klarer; und du siehst auch das eine oder andere, was bisher schei... gelaufen ist oder gar Verzweiflung, Mutlosigkeit oder Scham zur Folge hatte. Die damaligen Gefühle kommen wieder; es fühlt sich so an, als ob du wieder in der gleichen Situation wärst und wieder die gleiche Entscheidung falsch treffen würdest. Die Kanalratten sind deine Erinnerungen zu deinem Verhalten in einer längst vergangenen Situation. Kanalratten, die durch die ADHS-Medikation hin und wieder hervorkommen, haben immer direkt mit deinen vergangenen Erlebnissen zu tun. Sie sind keine Depression. Sag "hallo Kanalratte, und tschüss Kanalratte, verschwinde", straffe die Schultern, lächle und setz deine imaginäre Krone wieder auf.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Erwarte ich also möglicherweise zu viel vom Medikinet ...

Zur Erwartungshaltung poste ich gleich noch etwas, was den Weg auf die Website oder ins Forum noch nicht gefunden hat.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Ich weiß auch, dass ich völlig vergesse zu essen, wenn ich 20mg nehme. Und das ein Teil von mir das toll findet.

Dieser Teil in dir, der das toll findet, sagt mir, dass das Thema Essen bei dir keine wichtige Rolle spielen darf.

Zitat von Lali im Beitrag #1
... ich habe überhaupt kein Selbstvertrauen ...

DAS ist ADHS. Nachdem du das jetzt ausgesprochen hast, brauchen wir das nicht mehr so wirklich thematisieren.

Zitat von Lali im Beitrag #1
... abgleichen kann, was nun mal wieder nen Borderlinetief, ne Medikamentennebenwirkung oder ein depressives Loch ist.

Du denkst zu viel. Es läuft gerade schei... äh, schief und es kann dir erst mal wurscht sein, weshalb.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Auch der Zusammenhang von Medikinet und Essen ist schwierig. Mein Psychiater selbst sagt, nur die erste Mahlzeit ist wichtig, mein (ehemals essgestörtes) Ich scheitert an den Informationen hier aus dem Forum (regelmäßig essen) und meine Therapeutin findet, ein Wechsel des Medikaments, weil ich die Mahlzeiten nicht auf die Reihe bekomme, ist der falsche Ansatz.

Uff! Das kann ich nicht getrennt zitieren, es hängt zu sehr zusammen.

Bei jeder Einnahme von Medikinet adult muss eine vollwertige Mahlzeit im Magen sein, damit sich die retardierten Pellets erst im Darm auflösen. Das heißt, auch bei der zweiten Einnahme von Medikinet adult braucht das Medi eine vollwertige Mahlzeit im Magen. Und mit "regelmäßig essen" bekommt das Thema essen wieder eine Wichtigkeit, die nicht gut für dich ist. Erster Gedanke bei mir: Du brauchst ein Medi, das unabhängig von den Mahlzeiten funktioniert.

Weiß deine Therapeutin von deiner früheren Essstörung? Falls ja, ist deine Therapeutin vielleicht nicht der richtige Gesprächspartner für die Medikation. Oder sie will dich "erziehen", dass du nicht gleich bei der ersten Hürde aufgibst ... oder dass du regelmäßige Mahlzeiten zu dir nimmst, weil du das ohne die Medikation nicht tun würdest. Egal - ein Mediwechsel ist hier durchaus vernünftig.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Insgesamt ist meine Situation mit Medikinet anders, aber ebenfalls nicht zufriedenstellend.

Zum einen ist da die Erwartungshaltung; zum anderen ist deine Zufriedenheit eines der Ziele, die mit der Medikation erreicht werden sollen. Auch das kann mit einer Änderung der Medikation verbessert werden.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Aber ich weiß nicht, wie ich in die richtige Medieinstellung finde ...

Aber wir.

Zitat von Lali im Beitrag #1
... habe den Eindruck, dass mein Arzt kein anderes Medikament nehmen will.

Dein Eindruck ist richtig. Von all den vielen ADHS-Medis sind für Erwachsene nur vier verordnungsfähig - zwei mit dem Wirkstoff Methylphenidat, eins mit Dexamphetamin und eins mit Atomoxetin. Medikamentenwechsel bei Erwachsenen kann auf den ersten Blick schnell in eine Sackgasse führen. Lass uns dieses Problem lösen, wenn wir es haben. Aufgeben ist keine Option.

Zitat von Lali im Beitrag #1
Ich weiß gar nicht, ob ihr irgendwas mit dem Geschriebenen anfangen könnt ...

Selbstverständlich können wir das. Wenn nicht wir, wer sonst?

Zitat von Lali im Beitrag #1
... erwarte natürlich keine Lösung.

Doch. Du hast uns gefunden, weil du eine Lösung brauchst. Wir geben nicht auf, bevor du die passende Medikation gefunden hast.

Lesen gefährdet die Dummheit


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12.09.2021 16:06
#3
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Zur Erwartungshaltung:

Zitat
Methylphenidat-Medikament wirkt nicht?
Oder wirkt zumindest nicht so wie es soll?


Wenn ein MPH-Medi nicht wirkt oder nicht so wie es soll, kann das drei verschiedene Gründe haben:

Erstens: Es ist die falsche Dosierung
Zweitens: Es ist das falsche Medi
Drittens: Es ist die falsche Erwartungshaltung


Falsche Dosierung

Es gibt nur ein Kriterium für die Dosierung und das ist der Bedarf. Alter, Gewicht, Erfahrung des Arztes sind irrelevant – die Dosierung muss an den Bedarf angepasst werden. Das kann eine Erhöhung oder Verringerung der Einzeldosis sein oder ein anderer Einnahmezeitpunkt.

Handelt es sich um die Erstmedikation bzw. welche Medis wurden zuvor probiert? Wie wurde das Medi eindosiert (im Abstand von mehreren Tagen Steigerung um 5/9/10 mg)? Mit welcher Dosierung wurde begonnen? Und was genau ist das Problem?


Falsches Medi

Selten passt schon das erste Medikament zum individuellen Menschen. Dass man mehrere Medis ausprobieren muss, ist nicht ungewöhnlich. Ausschlaggebend sind oft die Zusatzstoffe oder die Art und Weise der Freisetzung des Wirkstoffes.

Welche Medis in welchen Dosierungen wurden bisher ausprobiert? Weshalb wurde gewechselt? Kam es zu Nebenwirkungen? Und was genau ist das Problem?


Falsche Erwartungshaltung

Am Anfang der „ADHS-Karriere“ ist das Wissen über die ADHS und deren Medikation oft noch sehr dürftig. Es wird dann davon ausgegangen, dass Unaufmerksamkeit und Impulsivität neben der teilweise vorhandenen Hyperaktivität die Problematik an sich darstellen und das Medi die Aufmerksamkeit erhöhen, die Impulsivität verringern und die potentielle Hyperaktivität ausschalten soll.

Weit gefehlt! ADHS ist eine Reizoffenheit bei Reizfilterschwäche, was mangelhafte Körperwahrnehmung und Wachheit, Schwierigkeiten bei den exekutiven Funktionen und der Servo-Verhaltenskontrolle nach sich zieht und schnell zu Reizüberflutung führt.

Das hört sich schon ganz anders an. Und was macht jetzt das Medi?

Im Prinzip hemmt es die Wiederaufnahme von Dopamin im synaptischen Spalt. Das ermöglicht, dass Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben werden können. Wenn Reize – bioelektrische Informationen – erst mal in wichtig und unwichtig sortiert werden und mehr oder weniger vollständig dort ankommen, wo sie gebraucht werden, können dadurch die exekutiven Funktionen und das eigene Verhalten, Körperwahrnehmung und Wachheit gesteuert werden.

Sozusagen als Nebenwirkung kann dann oft die Aufmerksamkeit und die Impulsivität gelenkt werden; und wer wach und interessiert ist, zappelt auch nicht. Ob und falls ja wie intensiv diese Ergebnisse erzielt werden, hängt überwiegend vom Setting ab. Artgerechte Haltung, visuelles Lernen und wertschätzendes Verhalten des sozialen Umfeldes sind – auch mit Medis – unerlässlich.

Lesen gefährdet die Dummheit


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12.09.2021 16:13
#4
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Wer lesen kann, ist im Vorteil ... . Schau mal hier:
ADHS365 - Medikament wirkt nicht

Lesen gefährdet die Dummheit


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13.09.2021 22:13
avatar  Lali
#5
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Vielen Dank! Ich war gestern sehr berührt von der ausführlichen und wertschätzenden Antwort. Danke.

Meine Therapeutin weiß von der (ehemaligen) Essstörung, deswegen legt sie sowieso einen besonderen Wert auf regelmäßige Mahlzeiten und sieht es daher nicht als Argument, dass das Medikament die Nahrungsmittelaufnahme voraussetzt. Ich denke also auch, es hat die von dir genannten erzieherischen / therapeutischen Gründe.

Mir kommt das mit der Medikation manchmal so realitätsfern vor. Lebensmittelvorräte anschaffen, Mahlzeiten planen und regelmäßig zu festen Zeiten essen... wenn ich das könnte, bräuchte ich die Medikamente nicht. Daran zu denken, die zweite Dosis und etwas zu essen dabeizuhaben, überfordert mich einfach. Heute hatte ich beispielsweise daran gedacht, ein Brötchen für mittags zu haben, um dann festzustellen, die falsche Dosis eingepackt zu haben (20er statt 10er).
Ich habe es letzten Dezember mit der Anfangsmedikation das erste Mal in meinem Leben geschafft, Plätzchen fertig zu backen. Mit Ausstechen und Verzieren. Ich war richtig stolz auf mich. Mittlerweile fühlt es sich nur noch nach Scheitern an, weil ich es nicht schaffe, ein paar Tage hintereinander das Medikinet so zu nehmen, wie es eigentlich gut wäre. Wie machen das andere bloß?

Ich habe nächsten Dienstag einen Termin bei meinem Psychiater, also DIE Chance, etwas bezüglich der Medikation zu verändern. Aber abgesehen von Elontril wurde mir bisher keine Alternative angeboten.


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14.09.2021 14:15 (zuletzt bearbeitet: 14.09.2021 14:23)
avatar  JaNi
#6
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Hallo Lali,
willkommen hier auch von mir.

Das Problem des regelmäßigen ausreichenden Essens vor der zweiten Dosis Medikinet adult hatte ich auch.

Hatte ich dann nicht ausreichend gegessen, wirkte das Medikinet adult nicht so gut.

Habe dann auf das andere für Erwachsene zugelassen retardierte Methylphenidat (Ritalin adult) gewechselt. Dieses hat eine andere Funktionsweise der Wirkstofffreigabe und das Essen vor der Einnahme ist nicht unbedingt nötig, schadet aber auch nicht.

Vielleicht ist das für dich auch eine Option, da bei dir Methylphenidat ja grds. schon Wirkung zeigt.

An die Einnahme der zweite Dosis am frühen Nachmittag denke ich so gut wie nie von alleine. Habe aber täglich eine Erinnerung zur Einnahme im
Handy und damit kriege ich das an den meisten Tagen auf die Reihe.

Alles Gute.
LG JaNi

Umwege erhöhen die Ortskenntnis.

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22.09.2021 18:27
#7
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Hallo Lali,


ich würde es, wie JaNi es ja schon quasi gesagt hat, es mal mit Ritalin probieren. Man ist eben wirklich von den Mahlzeiten unabhängig und könnte eine gute Alternative zu Medikinet sein.
Das die beiden Medikamente gerade zu anfang den Appetit zügeln, ist ja bekannt und gibt sich nach einer eingewöhnungszeit.

Zitat von JaNi im Beitrag #6
An die Einnahme der zweite Dosis am frühen Nachmittag denke ich so gut wie nie von alleine


Das kenne ich von meinem Saft auch. Zwar hat man die Zeit schon etwas im Kopf. Aber leider klappt das nicht immer. Daher stelle ich mir auch oft eine erinnerung im Handy.


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