Diagnostik und Therapie
ADHS - Wer stellt die Diagnose? Wer therapiert? (Autor: Dr. Rupert Filgis)
In den Selbsthilfegruppen vor Ort werden hierzu allgemeine und persönliche Erfahrungen ausgetauscht.
Eine seriöse, nämlich vorbehaltlose und ergebnisoffene Herangehensweise sammelt zunächst Befunde nach den Regeln der Kunst. Deren sorgfältige Abwägung und Interpretation ermöglicht dem Erfahrenen abzuklären, ob eine ADHS vorliegt oder ausgeschlossen werden kann; bzw. welcher Schwere- und Ausprägungsgrad und welche der häufigen Zusatz- oder Folgestörungen vorliegen.
Die Diagnose ADHS wird wie nahezu alle psychiatrischen Diagnosen klinisch erhoben, also durch Beobachtung, Fragen, Gespräche und psychologische Tests. Es gibt bisher bei ADHS wie z.B. bei Depressionen, Zwängen, Wahn-, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen noch keinen spezifischen, zum eindeutigen Nachweis genügenden Messwert, Blutbestandteil und kein bildgebendes Verfahren. Die beste diagnostische Vorgehensweise nach dem neuesten Stand wissenschaftlicher ADHS-Forschung ist für jeden in den Leitlinien der Fachgesellschaften zu ADHS nachzulesen.
Eine leitliniengerechte psychiatrische Diagnostik schließt sechs Lebens- und Funktions-Bereiche (Achsen) ein, prüft die richtige Funktion der Organe und Sinne, klärt die Begabung/Intelligenz des Patienten ab, schaut auf die psychosozialen Verhältnisse in der Familie und wie der Patient mit den an ihn gestellten Alltagsanforderungen im Vergleich zu seinen Altersgenossen zurechtkommt. Daraus wird klar, dass nur ein Fachmann oder ein Team mit entsprechender Expertise die Diagnose ADHS sorgfältig stellen kann. Alternative Diagnostik ist untauglich, mitunter sogar gefährlich.
Wichtig dabei ist, dass die durch Gespräche, psychologische Tests und diagnostische Fragebögen erhobenen Befunde kritisch hinterfragt werden und andere Ursachen für die vorliegenden Beschwerden so sicher wie möglich ausgeschlossen werden.
Oft sind die Wege zu bewährten Facheinrichtungen lang und die Wartezeiten scheinen unzumutbar. Insgesamt ist die Versorgungslage vor allem in der Fläche nach wie vor unzureichend. Deshalb hier einige Tipps zu der Fragestellung, wie man einen seriösen Diagnostiker und Therapeuten erkennen kann. Dies ist auch deshalb nötig, weil die ADHS zu einem profitablen Markt für diverse Anbieter alternativer Vorstellungen und Therapien, für Heilsversprecher und Medizinkritiker geworden ist.
Zudem quälen viele Eltern Ängste vor einer psychiatrischen Diagnose für ihr Kind. Die aktuelle Medienberichterstattung verstärkt Vorbehalte gegenüber Medikamenten bei der ADHS-Therapie, die in der Bevölkerung ohnehin schon vorhanden sind: Wer reißt sich schon um eine psychiatrische Diagnostik? Wer gibt seinem Kind schon gerne Therapie oder Medikamente?
ADHS kann das Leben und Zusammenleben sehr belasten. Die Eltern suchen eine Diagnostik nicht zum Spaß auf, sondern weil sie erheblichen Leidensdruck verspüren. Niemand sollte Sie nur vertrösten oder einfach wegschicken, zumal ADHS-Patienten und ihren Familien gut geholfen werden kann.
ADHS ist nach heutigem Wissen in hohem Maße angeboren und Vererbung spielt eine große Rolle. Deshalb ist es immer erforderlich auch die Eltern des Kindes auf eine eigene ADHS-Problematik hin zu untersuchen. Dies ist auch für die Auswahl zweckmäßiger Therapiebausteine wichtig.
Obwohl die Diagnose ADHS in der Fachwelt weltweit unbestritten ist und von seriösen Medizinern oder klinischen Psychologen so sicher gestellt werden kann wie jede andere psychiatrische Diagnose, ist sie in der BRD noch relativ neu. Viele Diagnostiker kennen sich noch nicht gut aus, haben wenig Erfahrung mit der Problematik, sind durch die Medienberichterstattung selbst verunsichert oder haben den neuesten Entwicklungen in der Forschung gegenüber Vorbehalte. Hierbei spielen auch standes- und interessenpolitische Prozesse mit, die der uninformierte Patient nicht kennen kann.
Links zu Wikipedia: Patientenrecht und Psychologische Diagnostik
Wichtige Kriterien zum Erkennen von Seriosität
Berufliche Qualifikation: z.B. Kinder- und Jugendpsychiater, Kinderarzt
oder Hausarzt mit einschlägiger Weiterbildung und Erfahrung, klinischer Psychologe
Arbeitet offen und kollegial mit Fachkollegen und weiteren Kompetenzträgern zusammen
Erklärt auf Nachfrage, mit ADHS Erfahrung zu haben und nach den Leitlinien vorzugehen
Erklärt jeden Einzelschritt und das Vorgehen insgesamt
Beantwortet bereitwillig Fragen und ermuntert sogar dazu
Lässt anerkannte diagnostische Frage- und Beobachtungsbögen ausfüllen
(durch Eltern, Erzieher, Lehrer), holt breit gefächert Informationen ein
Stellt Fragen zu Auffälligkeiten im Familien- und Verwandtenkreis (auch aus deren Kindheit)
Äußert keine Vorbehalte oder Ablehnung gegenüber ADHS
z.B.: „Modediagnose“, „halte nichts davon“, „Ausrede“, „nur Eltern überfordert“
und anderweitige unqualifizierte Bemerkungen
Bagatellisiert nicht; nimmt Sorgen und Nöte von Eltern und Kind ernst,
vertröstet nicht, wimmelt nicht ab: „abwarten, wächst sich noch aus“,
„nur etwas lebhaft“, „ist halt noch etwas verträumt“
Lässt sich Zeit bei der Diagnose, klärt sorgfältig ab, prescht nicht mit Blickdiagnosen vor
Stellt schnell tragfähige Beziehung zum Patienten, Kind, Jugendlichen her,
bietet sichere, geborgene Atmosphäre, vermittelt menschliche und fachkompetente Anteilnahme
Überfordert Patienten nicht mit zu umfangreichen oder zu langen Prozeduren
Strukturiert klar und führt freundlich Eltern und Patient durch Diagnostik und Therapie
Sieht nicht nur Schwächen und Beschwerden sondern betont auch Stärken (Ressourcen)
Patient-Behandler-Eltern-Beziehung ist partnerschaftlich;
Aussagen, Wünsche, Ängste und Ziele von Patient und Eltern werden ernst genommen;
dies wird ihnen auch spürbar vermittelt
Erkennt Eltern zunächst als Experten für ihr Kind an, die mehr als jeder andere ihr Kind kennen und lieben;
die beschränkte Zeit der Diagnostik kann nur einen begrenzten Einblick bringen
Fixiert sich nicht auf Einzelbefunde wie z.B. einen „schlechten“ Intelligenztest
sondern berücksichtigt Gesamteindruck, Mitarbeitsbereitschaft, Stimmung und Tagesform des Patienten
Bespricht Befunde und Folgerungen verstehbar mit Patient und Eltern; geht auf Bedenken ein
Orientierung an praktischen, zeitnahen Lösungen; Verzicht auf (schnelle) Schuldzuschreibungen
Kann zuhören und eventuelle Fehlschlüsse korrigieren
Bedient sich einer verständlichen Sprache; prüft nach, ob wirk¬lich alles verstanden wurde
Kann mit berechtigten Anliegen oder kritischen Einwänden konstruktiv umgehen
Beantwortet Fragen direkt und auf das Problem bezogen und nicht mit Umschweifen
oder Gegenfragen wie z.B.: „Warum meinen Sie jetzt, das fragen zu müssen?“
Aufklärung über Risiken und Chancen von Behandlung und evtl. Folgen der Unterlassung
Patient und/oder Eltern erkennen sich und ihre Situation in Diagnose und Beschreibung
des Diagnostikers wieder; Therapieziele werden gemeinsam nach Dringlichkeit erarbeitet
Die aus der Diagnose abgeleitete Therapie bringt spürbar Entlastung und Besserung
Therapie wird den Bedürfnissen des Patienten über die Zeit angepasst
Therapie wird den realistischen Möglichkeiten von Patient und Familie angepasst
Patient, Eltern und gegebenenfalls Schule bekommen Störungsbildverständnis vermittelt
Kompetenzen (Ressourcen) von Patient und Familie werden konsequent genutzt und verstärkt
Schmiedet aus Patient, Familie und evtl. Schule ein Team, das an einem Strang zieht
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